- Literaturnobelpreis 1936: Eugene O'Neill
- Literaturnobelpreis 1936: Eugene O'NeillDer Amerikaner erhielt den Nobelpreis »für seine von Kraft, Ehrlichkeit und starkem Gefühl sowie von selbstständiger Auffassung des Tragischen geprägten dramatischen Dichtung«.Eugene Gladstone O'Neill, * New York 16. 10. 1888, ✝ Boston (Massachusetts) 27. 11. 1953; Begleiter der Schauspielertruppe seines Vaters, Bohèmeleben in New York, 1906-07 Studium an der Princeton University (New Jersey), 1914-15 Studium an der Havard University, war unter anderem als Seemann, Goldsucher in Mittelamerika und Farbrikarbeiter tätig, 1920, 1921, 1928 und 1939 Ehrung mit dem Pulitzerpreis.Würdigung der preisgekrönten LeistungMit Eugene O'Neill erhielt 1936 ein Schriftsteller den Literaturnobelpreis, dessen Schaffen nach den Worten Per Hallströms, des ständigen Sekretärs der Schwedischen Akademie, außergewöhnlich an Umfang, vielfältig und fruchtbar an neuen Formen war. Hallström prophezeite zugleich, dass die künstlerische Entwicklung des Laureaten noch weitergehen werde. In seinem Werk erkannte die Schwedische Akademie eine starke Tendenz zur Tragödie, die teilweise seinem Pessimismus zuzuschreiben sei, aber auch der literarischen Strömung der Zeit. Besonders hervorgehoben wurde in der Laudatio das sich an die Tradition der antiken Tragödie nähernde Sieben-Stunden-Drama »Trauer muss Elektra tragen«.Die Verleihung des Nobelpreises an O'Neill fand diesseits und jenseits des Atlantiks nur dort Zustimmung, wo seine Stücke ihm die Wertschätzung der Kritik und den Beifall des Publikums bereits eingebracht hatten. Selbstverständlich war die Genugtuung in Amerika besonders groß.Zum Scheitern bestimmte MenschenDas Wanderleben in seinen ersten 24 Jahren hatte O'Neills Gesundheit ruiniert. Er erkrankte an Tuberkulose. Um seine unlösbaren emotionalen Konflikte aufzuarbeiten, verbrachte er während eines Aufenthalts im Sanatorium viele Stunden mit intensiver Lektüre, besonders griechischen Tragödien und den Werken von Johan August Strindberg — und er begann, Theaterstücke zu schreiben. 1915 schloss er sich einer Gruppe avantgardistischer Schriftsteller und Schauspieler in Greenwich Village in New York an. Sie gründeten eine Laien-Theatergruppe mit dem Namen »Provincetown Players«, deren erste Aufführungen in einer verlassenen Hafenhalle auf Cape Cod stattfanden. Die Bedeutung seiner Mitarbeit in dieser Truppe kann nicht genug betont werden. Indem er sich dieser aufsässigen Gruppe anschloss, die gegen die zunehmend materialistischer werdende amerikanische Gesellschaft und gegen die Kommerzialisierung des Berufstheaters ankämpfte, fand er einen natürlichen Weg für seine eigene Auflehnung gegen die von seinem Vater vertretenen konventionell-altmodischen Ansichten über das Theater.Für diese Theatertruppe, die bald wieder nach New York zog, schrieb er vornehmlich naturalistische Einakter, die meist im Seemannsmilieu spielen. 1920 wurde O'Neills erstes große Drama »Jenseits vom Horizont« am Broadway aufgeführt, das ihm den ersten Pulitzerpreis einbrachte. In seinen Anfängen schrieb er poetische und tragische »Melodramen«, in denen Strindbergs Nihilismus und die Ideen Sigmund Freuds zu erkennen sind. Darüber verkannte man jedoch oft, dass sein Hauptthema die fast zeitlose Konfliktsituation des zum Scheitern bestimmten Menschen war.Der Beginn einer fruchtbaren SchaffensperiodeIn »Anna Christie« (Pulitzerpreis 1921) wird das Meer für ein Zusammentreffen von tragischen Umständen verantwortlich gemacht, die dazu führen, dass aus der Heldin eine Prostituierte wird. Sie schiebt die Verantwortung auf ihren Vater, der als Kapitän fast nur auf See gewesen sei und sie vernachlässigt habe.Am 9. März 1922 wurde in New York sein Einakter »Der haarige Affe« uraufgeführt. Dieses Stück stellt O'Neills erste »expressionistische« Arbeit dar. Der auf einem Passagierschiff arbeitende Heizer Robert Smith fühlt sich seiner Arbeit und seinem Umfeld zugehörig, bis er bei einer Schiffsbesichtigung ein junges Mädchen trifft. Die Begegnung hinterlässt einen tiefen Eindruck bei ihm, und Smith beginnt, sich auch für die Welt jenseits des Schiffs zu öffnen. Diese Suche nach einer Alternative endet für ihn jedoch nicht bei den Menschen. Smith meint vielmehr, sie bei einem Gorilla gefunden zu haben. Doch der erdrückt ihn.Für viele markiert »Gier unter Ulmen« (1924) den Beginn der Hauptschaffensperiode O'Neills: Fortschritt und Materialismus stehen in diesem Drama im Widerstreit mit den elementaren Instinkten. Der 75-jährige Ephraim Cabot heiratet die viel jüngere Abbie, die die Ehe nur seines Besitzes wegen schließt. Der älteste Sohn Ephraims, Eben, ist voller Hass gegen seinen geizigen Vater und nur auf dessen Erbe aus. Unter den beiden Ulmen, die ihre Äste zugleich schützend und lastend »wie verbrauchte Frauen« über das Farmhaus ausbreiten, entwickelt sich eine Tragödie, als sich Eben in seine Stiefmutter verliebt und sie ein Kind von ihm bekommt.»Seltsames Zwischenspiel« (1928), ein Schauspiel in zwei Teilen und neun Akten, das O'Neill den dritten Pulitzerpreis einbrachte, markiert die Abkehr des Autors vom naturalistischen Theater. In diesem Stück verarbeitete er die Einflüsse europäischer Dramatiker wie Henrik Ibsen, Johan August Strindberg und George Bernard Shaw (Nobelpreis 1925) sowie die psychoanalytischen Erkenntnisse der Zeit. »Seltsames Zwischenspiel« gilt als die Wiedergeburt der Tragödie aus dem Unbewussten.Dann folgten die drei wichtigsten Stücke. Das bedeutendste — »Trauer muss Elektra tragen« — greift den ödipalen Konflikt aus »Gier unter Ulmen« wieder auf. Hier führen Lavinias Liebe zu ihrem Vater und der Hass auf ihre Mutter zur Einsamkeit. Die Liebe von Lavinias Bruder zu seiner Mutter verschärft den familiären Widerstreit, der ohne Unglück nicht gelöst werden kann. Am Ende dieser Schaffensperiode steht »O Wildnis!« (1933), O'Neills einzige Komödie.Die letzte PhaseMit dem Jahr 1934 begann aufgrund einer Krankheit und des Zweiten Weltkriegs eine zwölfjährige Schaffenspause des Autors. 1946 gelangte mit »Der Eismann kommt« wieder ein O'Neill-Stück zur Uraufführung, das in der schonungslosen Gegenüberstellung von banalem Leben und hochfliegenden Traumwelten auf das absurde Theater Samuel Becketts hinweist.Zur Zeit der Verleihung des Nobelpreises an O'Neill waren nicht nur in Amerika zahlreiche seiner Stücke mit großem Erfolg aufgeführt worden, sondern auch in anderen Ländern. Unter anderem wurden sie frühzeitig ins Deutsche übersetzt. Nach seinem Tod wurde das stark autobiografische Drama »Eines langen Tages Reise in die Nacht« (1956) uraufgeführt, das in seiner Bedeutung mit »Trauer muss Elektra tragen« vergleichbar ist.Einige Tage vor seinem Tod soll sich der schwer an Lungenentzündung erkrankte O'Neill in einem Hotelzimmer des Shelton Hotels in Boston noch einmal aufgerichtet und gesagt haben: »Ich wusste es, ich wusste es! Ich bin in einem verdammten Hotelzimmer geboren und ich sterbe in einem Hotelzimmer.«I. Arnsperger
Universal-Lexikon. 2012.